Veröffentlicht am 04.11.2024
Am 29. Oktober 2024 fand das Treffen des Fachkreises Zivilgesellschaftsforschung statt, bei dem mit Julia Bartel vom ZiviZ im Stifterverband und Dr. Holger Backhaus-Maul von der Universität Halle-Wittenberg und dem Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) zwei externe Expert:innen als Impulsgebende zu Gast waren. Die Veranstaltung bot wertvolle Erkenntnisse über aktuelle Trends und Herausforderungen im Bereich bürgerschaftliches Engagement in Berlin und darüber hinaus.
Julia Bartel präsentierte die Berliner Sonderauswertung des ZiviZ-Surveys 2023 und beleuchtete zentrale Entwicklungen im Engagementbereich der Hauptstadt. Rund 370 Organisationen, etwa 6 Prozent der befragten Organisationen, beteiligten sich an der Umfrage, deren Ergebnisse überraschende Trends aufzeigten. Während die Anzahl von Vereinen bundesweit seit den 1990er Jahren rückläufig ist, verzeichnete Berlin von 2012 bis 2022 ein Vereinswachstum von 22 Prozent. Besonders gefragt sind Bereiche wie Bildung und Erziehung, Kultur, Sport und soziale Dienste.
Ein weiteres Ergebnis ist der Aufstieg informeller Engagementformen: Rund 30 Prozent der Engagierten verzichten auf klassische Mitgliedschaften und setzen auf flexibel gestaltetes Engagement. Bartel führte dies auf die steigende Mobilität und Flexibilität im Lebensalltag zurück und betonte, dass Vereine diese Veränderungen reflektieren sollten. Die Entkopplung von Mitgliedschaft und Engagement bedeute keinesfalls eine Abnahme der Verbindlichkeit – im Gegenteil, junge Engagierte bringen oft gut strukturierte und verbindliche Formen ein.
Im Vergleich zu anderen Großstädten zeigt Berlin einen starken Einsatz für Demokratieförderung und politische Beteiligung, was Bartel auf die Hauptstadtfunktion und die hohe politische Sensibilität der Bevölkerung zurückführt. Auch die Altersverteilung variiert je nach Engagementfeld: Während jüngere Menschen sich eher im Sport einbringen, engagieren sich ältere Generationen verstärkt im sozialen Bereich. Die finanzielle Unterstützung erfolgt hauptsächlich über Mitgliedsbeiträge und Spenden, wobei öffentliche Mittel zuletzt durch Corona-Hilfen stiegen.
Insgesamt deutet die Sonderauswertung auf eine notwendige Öffnung des Vereinswesens hin, um der Vielfalt an Engagementformen gerecht zu werden. Um eine starke und zukunftsfähige Zivilgesellschaft zu gewährleisten, gilt es, die Diversität des Engagements zu fördern und die Zivilgesellschaft aktiv in politische und gesellschaftliche Prozesse einzubinden.
Im Anschluss an Bartels Präsentation ergänzte Dr. Holger Backhaus-Maul die empirischen Ergebnisse um gesellschaftliche und theoretische Perspektiven. Er stellte die Bedeutung von Vereinen als stabile Ankerpunkte der Zivilgesellschaft heraus, betonte aber zugleich die Herausforderung, alternative Engagementformen zu integrieren. Die Zunahme individuell organisierter Aktivitäten führt zu einer weiteren Entkopplung von Mitgliedschaft und Engagement, was langfristig die Finanzierung vieler Vereine beeinflussen könnte, da Mitgliedsbeiträge eine zentrale Einnahmequelle darstellen.
Dr. Backhaus-Maul thematisierte auch die oft zu große Distanz zwischen Wissenschaft und Praxis. Viele Akteur:innen in der Zivilgesellschaft haben Schwierigkeiten, sich in den abstrakten Begriffen der Wissenschaft wie „Zivilgesellschaft“ oder „Demokratie“ wiederzufinden. Um praxisnahe Austauschformate zu etablieren, seien jedoch zusätzliche personelle und finanzielle Mittel notwendig.
In der abschließenden Diskussion wurde die verschärfte soziale Lage vieler Menschen angesprochen, die zunehmend Parteien mit vermeintlich einfachen Lösungen anzieht. Die Teilnehmer:innen des Treffens waren sich einig, dass es eine zentrale Aufgabe der Zivilgesellschaft sei, diesen Menschen attraktive Angebote zur Partizipation zu machen, um Vertrauen und gesellschaftliche Teilhabe zu fördern. Besonders wichtig sei hierbei die Qualität der Beteiligungsformate – sogenannte „Scheinformate“ ohne tatsächliche Einflussmöglichkeiten könnten dem Vertrauen langfristig schaden.
Im Fachkreis Zivilgesellschaftsforschung widmen wir uns den vielfältigen Aspekten der Zivilgesellschaft und fördern einen interdisziplinären Austausch zu unterschiedlichen Ansätzen und Methoden. Unsere Treffen finden dreimal im Jahr statt, und wir laden in unregelmäßigen Abständen externe Impulsgebende ein, um frische Perspektiven und Ideen einzubringen.
Wir freuen uns immer über neue Interessierte! Hast du Lust, eines unserer nächsten Treffen zu besuchen? Dann schreib uns eine E-Mail an info@lnbe.berlin – wir freuen uns auf dich!
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