Veröffentlicht am 24.03.2025
Seit seiner Gründung im Jahr 1989 hat der Großelterndienst in Berlin nicht nur vielen Familien eine wertvolle Unterstützung vermittelt, sondern auch zahlreichen älteren Menschen eine sinnvolle und erfüllende Aufgabe. Der Dienst bringt ältere Menschen, die sich nach familiärer Nähe und einer sinnvollen Aufgabe sehnen, mit jungen Familien zusammen, denen ein unterstützendes Netzwerk vor Ort fehlt.
„Wenn die Wunschgroßeltern mit ihrem Wunschenkelkind unterwegs sind, vergessen sie ihre Sorgen und kleinen Wehwehchen. Plötzlich können sie wieder Treppen steigen, sich hinknien und auf dem Boden spielen. Sie sehen und erleben die Welt nochmals durch Kinderaugen. Diese Momente lassen sie nicht nur in Erinnerungen schwelgen, sondern halten sie auch jung und fit,“ erzählt Helga Krull, die den Großelterndienst seit fast 20 Jahren hauptamtlich leitet.
Der Großelterndienst wurde 1989 als Projekt des Berliner Frauenbundes 1945 e.V. ins Leben gerufen. Er bringt ältere Menschen, die sich nach familiärer Nähe und einer sinnvollen Aufgabe sehnen, mit jungen Familien zusammen, denen ein unterstützendes Netzwerk vor Ort fehlt. Besonders Alleinerziehende spüren diese Lücke oft schmerzlich. Die Vermittlung zwischen Senior:innen und den Familien erfolgt wortortsnah im gesamten Berliner Stadtgebiet.
Helga Krull ist seit 2005 die Projektleitung und übergibt nun, nach 20 Jahren, an ihre Nachfolgerin Stefanie Mondry, die bereits 2023 schrittweise eingestiegen ist. „Ich bin sehr dankbar für diese lange Übergangszeit, um wenigstens ein bisschen von dem Wissen mitzunehmen, das Helga in 20 Jahren aufgebaut hat. Vieles davon ist nicht schriftlich festgehalten – es sind Geschichten und Erfahrungen, die ich nun Stück für Stück höre und aufnehme, und die für meine Arbeit hier essenziell sind“, sagt Stefanie.
Im Großelterndienst findet zunächst ein ausführliches Erstgespräch mit interessierten Senior:innen statt. Helga und Stefanie nehmen sich viel Zeit, um die potenziellen Wunschgroßeltern kennenzulernen, ihre Beweggründe zu verstehen und gleichzeitig die Erwartungen, Bedürfnisse und Anforderungen zu besprechen. Voraussetzung für die Aufnahme ist ein Höchstalter von 70 Jahren sowie eine private Haftpflichtversicherung und ein erweitertes Führungszeugnis.
Bleibt das Interesse nach dem Erstgespräch bestehen, erhalten die zukünftigen Wunschgroßeltern eine Auswahl an passenden Familien. Bereits zuvor wurden wichtige Kriterien wie die gewünschte Anzahl der Kinder, eventuelle Allergien gegen Haustiere oder andere persönliche Vorstellungen erfasst. So können gezielt wohnortnahe Familien vorgeschlagen werden, die bestmöglich zu den individuellen Wünschen passen.
„Viele Familien entdecken den Großelterndienst über das Internet. Die Nachfrage nach Wunschgroßeltern ist sehr viel größer als die Zahl der neuzuvermittelnden Wunschgroßeltern. Besonders Alleinerziehende, aber auch Paare können sich bewerben. Es melden sich auch viele Zugezogene, weil ihnen in Berlin ein familiäres Netzwerk fehlt,“ sagt Helga und ergänzt: „Der Dienst vermittelt allerdings nur an Familien mit Kindern bis zu 10 Jahren.“
Von Anfang an wird klar kommuniziert: Der Großelterndienst ist kein Notbetreuungsservice oder Babysitterdienst, sondern setzt auf langfristige Beziehungen. Auch die Wartezeit einer Vermittlung lässt sich nicht vorhersagen. „Wir verzichten bewusst auf Wartelisten, weil wir möchten, dass die Wunschgroßeltern selbst die Familie finden, die wirklich zu ihnen passt. Uns geht es nicht darum, eine Entscheidung vorzugeben, sondern eine Verbindung zu ermöglichen, die von Anfang an stimmig ist und langfristig hält“, sagt Stefanie.
Nach einer erfolgreichen Vermittlung beginnt eine sechswöchige Kennenlernzeit. Wenn am Ende dieser Phase alle Beteiligten sagen: Ja, das passt, das fühlt sich richtig an, gilt die Vermittlung im Rahmen des Großelterndienstes als positiv abgeschlossen.
„Zwischen den Wunschgroßeltern und den Familien gibt es eine schriftliche Vereinbarung, die unter anderem eine Aufwandsentschädigung festhält. In der Regel zahlen die Familien vier Euro pro Stunde an die Wunschgroßeltern – nicht als Lohn, sondern um kleine Ausgaben wie Fahrten oder ein Eis für das Kind zu decken. Gleichzeitig hat diese Zahlung eine symbolische Bedeutung, da wir die Erfahrung gemacht haben, dass kostenlose Angebote oft nicht wertgeschätzt werden. Zudem entlastet das die Eltern, die sich häufig fragen, wie sie sich angemessen revanchieren können. Was später mit dem Geld passiert – ob ins Sparschwein oder für gemeinsame Ausflüge – bleibt den Beteiligten überlassen“, erklärt Helga.
Doch nicht jede Vermittlung klappt direkt beim ersten Mal oder verläuft reibungslos. „Zweimal habe ich ein Vermittlungsgespräch schon nach zehn Minuten abgebrochen, weil schnell klar war, dass es nicht passt,“ erzählt Helga. Auch auf Seiten der Familien gibt es unerwartete Entwicklungen. „Plötzlich gibt es eine neue Bezugsperson für das Kind – und das kann überwältigend sein. Eltern werden mit Gefühlen konfrontiert, die sie nicht vorhergesehen haben. Ihr Kind baut eine enge Bindung zur Betreuungsperson auf, und plötzlich entsteht die Sorge, es könnte sich von ihnen entfremden. In einigen Fällen hat das sogar dazu geführt, dass Familien ihre Anfrage zurückgezogen haben,“ so Helga weiter.
„Dieses Begleitprogramm ist uns sehr wichtig“, erzählt Stefanie. „Es ermöglicht uns, den Kontakt zu den Wunschgroßeltern zu halten – sowohl zu den aktiven als auch zu denen, deren Wunschenkel vielleicht schon erwachsen sind. Zudem schafft es Raum für Austausch und neue soziale Kontakte. Oft entstehen dabei sogar Freundschaften.“ Helga ergänzt: „Heute spricht jeder über Einsamkeit im Alter und darüber, dass man etwas dagegen tun muss. Wir tun genau das – und das schon seit über 35 Jahren. Nur haben wir es nie so benannt. Doch letztlich ist es genau das, was unsere Arbeit ausmacht.“
Inzwischen finden sich vergleichbare Angebote in zahlreichen Städten Deutschlands. Das Konzept des Großelterndienstes hat jedoch nicht nur hierzulande Interesse geweckt – auch aus Südkorea und Japan gab es bereits Anfragen, die sich für das Modell interessiert haben.
Die Geschichten der Wunschgroßeltern und Wunschenkelkinder zeigen auf eindrucksvolle Weise, wie dieser Dienst weit mehr ist als nur ein Austausch von Zeit und Hilfe. Es entstehen tiefe und nachhaltige Bindungen, die auch über das Erwachsenwerden der Enkel hinaus bestehen bleiben. Helga berichtet: „Eine Wunschgroßmutter, die seit Beginn dabei ist, lebt nun an der Ostsee in einem Pflegeheim. Sie ist weit über 80 Jahre alt, und ich telefoniere immer wieder mit ihr. Letztens erzählte sie mir, dass ihre Wunschenkelin, die mittlerweile in Köln lebt, mit ihrem eigenen, zwei Jahre alten Kind zu Besuch gekommen ist. Sie sprach mit so viel Freude und Dankbarkeit über den Besuch. Solche Geschichten berühren mich tief, denn sie zeigen mir, dass wir hier wirklich etwas richtig machen.“
Der Großelterndienst freut sich über neue Interessentinnen, die als Wunschgroßeltern Teil des Netzwerks werden möchten.
Der Dienst ist an zwei Standorten in Berlin zu finden:
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