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Von Vorurteilen zu Wertschätzung – Kampagne gegen Altersdiskriminierung

Veröffentlicht am 04.09.2024

Eine alte Dame mit kurzen weißen Haaren lächelt in die Kamera und hält sich dabei mit beiden Händen den Kopf. Oben rechts im Bild ist das Logo von Silbernetz e.V. zu sehen.
Kampagne „7 Jahre länger leben?“

Altersdiskriminierung, auch bekannt als Ageismus, ist ein Thema, das oft schnell in den Hintergrund gerät. Junge Menschen fühlen sich selten betroffen, während ältere Menschen häufig stillschweigend akzeptieren, dass ihnen aufgrund ihres Alters bestimmte Fähigkeiten abgesprochen werden. Zudem tragen viele von uns unbewusst Stereotype in sich, die wir kaum hinterfragen.

Der Verein Silbernetz – das kostenlose Hilfetelefon für ältere, vereinsamte oder isolierte Menschen – möchte das Thema Altersdiskriminierung mehr in den öffentlichen Fokus rücken. Seit Juli 2024 sind berlinweit Plakate der Kampagne „7 Jahre länger leben?“ im Stadtbild zu sehen, die auf das Thema aufmerksam machen. Darüber hinaus plant Silbernetz im Herbst Workshops, um das Bewusstsein für Ageismus zu schärfen und dagegen anzugehen.

Ein Gespräch mit Elke Schilling, Gründerin und Vorsitzende von Silbernetz e.V.

Liebe Frau Schilling, Altersdiskriminierung ist ein Thema, das uns alle früher oder später betreffen kann. Gibt es eine spezifische Altersgrenze, ab der man davon betroffen sein kann?

Altersdiskriminierung kann Menschen in jedem Lebensabschnitt betreffen – auch Kinder und Jugendliche erfahren Diskriminierung aufgrund ihres Alters. Für diese Kampagne liegt unser Schwerpunkt jedoch auf der Diskriminierung älterer Menschen. Unsere Zielgruppe bei Silbernetz sind Menschen ab 60 Jahren. Tatsächlich beginnt die Altersdiskriminierung wegen höheren Alters jedoch oft schon ab 50, dann hört man beispielsweise im Jobcenter: „Dafür sind Sie zu alt.“

„Verinnerlichte Stereotypen führen dazu, dass sich ältere Menschen in vielerlei Hinsicht selbst einschränken. “

Welche sind die häufigsten Formen der Altersdiskriminierung, mit denen ältere Menschen konfrontiert werden, und wie wirkt sich das auf ihr tägliches Leben aus?

Zum einen sind es unsere verinnerlichten Stereotypen, die eine Rolle spielen. Wenn unsere Enkelkinder zu uns sagen: „Oma, du siehst aber alt aus“, offenbart sich dahinter ein negatives Altersbild. Andernfalls würden solche Bemerkungen nicht gemacht werden. Schon von Kindesbeinen an wird durch solche Redensarten ein negatives Bild vom Alter gezeichnet.

Zum Beispiel beim Arzt: Noch bevor gefragt wird, warum man die Praxis aufgesucht hat, wird die Patientenakte angesehen. Wenn der Arzt sieht, dass der Patient über 75 Jahre alt ist, entstehen sofort bestimmte Bilder im Kopf: multimorbid, tablettenabhängig, starrsinnig, demenzgefährdet und so weiter. Sich dagegen zur Wehr zu setzen und wirklich gehört zu werden, kostet viel Zeit und Energie. Das trifft natürlich nicht auf alle Ärzte zu.

Zudem sind es die Bilder, die in den Medien gezeichnet werden. Ein aktuelles Beispiel ist die Boomer-Generation, die diskriminiert wird, weil sie nun in Rente geht und angeblich unser Sozialsystem belastet. Dabei hat diese Generation in den letzten 40 Jahren maßgeblich zur Entwicklung Deutschlands beigetragen.

Diese verinnerlichten Stereotypen führen dazu, dass sich ältere Menschen in vielerlei Hinsicht selbst einschränken. Wie oft hört man den Spruch „Ich möchte niemandem zur Last fallen“ von älteren Menschen? Doch sich mit anderen auszutauschen, ist kein Lastfall, sondern beruht immer auf Gegenseitigkeit. Ältere Menschen nehmen nicht nur, sie haben auch viel zu geben. Genau dies wird jedoch durch die in unseren Köpfen verankerten Stereotypen verhindert.

Neben den verinnerlichten Stereotypen gibt es die strukturelle und institutionelle Diskriminierung, die teilweise sogar gesetzlich verankert ist. Beispielsweise darf man nur bis zu einem bestimmten Alter Richter oder Schöffe werden oder erhält ab einem gewissen Alter keinen Bankkredit mehr. Es gibt viele Beispiele, wie Menschen aufgrund höheren Alters von Dingen ausgeschlossen werden. Als letztes Beispiel vielleicht noch das Thema Digitalisierung. Wenn analoge Angebote, wie die BahnCard in Plastikkartenform, abgeschafft werden, leiden darunter vor allem ältere Menschen. Diese besitzen oft kein Smartphone und haben häufig weder Computer noch Internetanschluss zu Hause.

Eine ältere Dame mit kurzen grau-weißen Haaren, Brille, einem schwarzen Anorak und einer goldenen Kette schaut in die Ferne.
Elke Schilling, Silbernetz-Initiatorin, Foto: Wolfgang Schmidt
Eine alte Dame mit kurzen weißen Haaren lächelt in die Kamera und hält sich mit beiden Händen den Kopf. Der obere und untere Teil des Plakats ist lila mit gelber Schrift. Oben steht: '7 Jahre länger leben?' Unten steht: 'Deine Einstellung zum Alter macht den Unterschied.' Es gibt QR-Codes für weitere Informationen und die Logos der Beteiligten
Kampagne „7 Jahre länger leben?“

Welche Maßnahmen ergreift Silbernetz, um gegen Altersdiskriminierung vorzugehen?

Wir haben nun unsere Kampagne gestartet. Die Plakate sind in ganz Berlin zu sehen und sollen hoffentlich zum Nachdenken und zur Diskussion anregen. Zudem organisieren wir im Herbst Workshops – sowohl für unsere eigenen Mitarbeiter, viele sind jenseits der 60 und haben selbst Stereotypen im Kopf, als auch Angebote, die sich an die breite Öffentlichkeit richten. Am 1. Oktober, dem Tag der älteren Menschen, veranstalten wir eine ganztägige Konferenz in Berlin.

Das ist unser erster Aufschlag, aber ich hoffe, dass wir noch mehr machen können, um älteren Menschen ein Gewicht in unserer Gesellschaft zu geben.

Wenn wir die Bevölkerungspyramiden des letzten Jahrhunderts und der Gegenwart vergleichen, wird eines deutlich: Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der Hochaltrigkeit zur Normalität geworden ist. Heutzutage hat jeder von uns die Möglichkeit, ein sehr hohes Alter zu erreichen. Dies ist eine bedeutende soziale Errungenschaft. Doch wie gehen wir mit dieser Errungenschaft um? Altersdiskriminierung ist in diesem Kontext völlig absurd. Heute haben wir nicht nur die Chance, alt zu werden, sondern auch im hohen Alter fit und gesund zu bleiben. Dies ist eine positive Entwicklung, die wir wertschätzen und zum Thema machen sollten. Genau das möchten wir mit unserer Kampagne erreichen.

„Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Es ist großartig alt zu werden. Das, was ich in fast 80 Jahren meines Lebens gelernt habe, das kann mir niemand nehmen.“

Was können wir als Einzelpersonen tun, um Altersdiskriminierung entgegenzuwirken?

Der erste Schritt ist die Selbstreflexion. Was ist eigentlich mein Altersbild? Blicke ich positiv aufs Alter oder macht mir der Gedanke, alt zu werden, Angst? Wenn es mir Angst macht, sollte ich mich damit auseinandersetzen, denn dann tue ich das Allerbeste, um die Angst zu bekämpfen und ein positives Altersbild zu bekommen. Die Statistik sagt: Wenn ich eine positive Sicht auf das eigene Älterwerden habe, kann sich mein Leben um sieben Jahre verlängern.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Es ist großartig alt zu werden. Das, was ich in fast 80 Jahren meines Lebens gelernt habe, das kann mir niemand nehmen. Das ist ein Reichtum, auf den ich Stolz sein kann. Ich wünsche mir, dass diese Erkenntnis in unserer Gesellschaft mehr Beachtung findet. Wir können so viel voneinander lernen, denn ältere Menschen bringen einen über Jahrzehnte angesammelten Schatz an Lebenserfahrung mit – einen Schatz, den es natürlich hier und da zu hinterfragen gilt. Dennoch dienen sie als Vorbilder für uns alle. Schließlich werden wir alle älter.

Silbernetz e.V.

Das Silbernetz ist ein telefonisches Gesprächsangebot in Deutschland für ältere Menschen mit Einsamkeitsgefühlen. Es bietet mit einer Hotline (0800 4 70 80 90) und Telefonfreundschaften Kontakt, Ermutigung und Information. Das Angebot ist anonym, vertraulich und kostenfrei für die Anrufenden. Die Hotline ist täglich von 8-22 Uhr erreichbar. Dazu kommen in Berlin das Generationentandem und das Infotelefon.

„Engagiert für Demokratie und Zusammenhalt“ – Social-Media-Kampagne im September

Den gesamten September 2024 läuft unsere Social Media-Kampagne, die das Engagement für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Mittelpunkt rückt. Unter dem Motto „Engagiert für Zusammenhalt und Demokratie“ und dem Hashtag #GemeinsamStark präsentieren wir inspirierende Projekte, spannende Fakten und laden euch zum Mitmachen ein.

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